Deutscher Freidenker-Verband – Rheinland-Pfalz / Saarland

Der thermonukleare Doppelabwurf von1945: Verlauf, Tendenzen, Probleme

Freitag, 15. August 2025 von DFV-RPS (DRR)

Überlegungen zum 80. Jahrestag des mit dem Doppelabwurf einsetzenden atomaren Zeitalters

Von Bernhard H. F. Taureck 

Erstveröffentlichung am 21.06.2025 auf der Seite des Deutschen Freidenker-Verbandes

Prolog: Die Unglaubwürdigkeit der UNO

Am 26. Juni 1945 wurde in San Francisco die UNO gegründet. Zu ihren Zielen gehört die Bewahrung der Menschen vor der Geisel des Krieges. Auf Betreiben der USA und Großbritanniens kam es zur Bildung der Vereinten Nationen. Sechs Wochen später explodierten zwei Atombomben nicht über militärischen, sondern über zivilen Zielen in Japan, das sich mit den USA in einem Krieg befand, der etwa 3 Millionen japanische Opfer geschätzte 500.000 alliierte Soldaten forderte. Bevor diese Bomben explodierten, war Japan zuvor militärisch kampfunfähig geworden.

Mit dem Einsatz dieser nuklearen Waffen begann eine andere Zeitrechnung insofern, als künftige Konflikte stets im Schatten einer Auslöschung der Menschheit standen, stehen und stehen werden. Der hellsichtige Autor Günther Anders urteilte sinngemäß, dass nunmehr Geschichte im Schatten einer Apokalypse stehen wird, für die jedoch die Menschen blind sein werden.

Der Doppelabwurf wirft ebenso einen Schatten auf die soeben gegründeten Vereinten Nationen. Ein internationales Friedensabkommen wurde geschlossen und bereits sechs Wochen später erscheint das Gespenst einer militärisch verursachten globalen Apokalypse. Verursacher waren die USA, die soeben, zusammen mit Großbritannien, die Atalantikcharta und dann die Vereinten Nationen gegründet hatten. Kann man der UNO deshalb noch vertrauen?

Wer die UNO kennt, weiß, dass sie als internationaler Friedensgarant, ihrem Anschein entgegen, nicht in Frage kommt. Dies hängt mit folgender Regelung zusammen: Die UNO erlaubt, dass jeder Staat das Recht hat, sich mit denselben Waffen zu verteidigen, mit denen er angegriffen wird. Daraus folgt, dass ein Atomwaffenangriff mit Atomwaffen beantwortet werden darf. Wenn dies jedoch der Fall ist, dann wird ein Atomkrieg nicht nur nicht ausgeschlossen. Vielmehr folgt aus den UNO-Satzung, dass er legitim geschieht.

Ich werde das Gedenken an den thermonuklearen Doppelabwurf im Folgenden nutzen, etwas weiter auszuholen. Dabei möchte ich den erstens Verlauf der Ereignisse in einen internationalen Kontext stellen, um zweitens Tendenzen dieses Verlaufs zu markieren. Drittens wird es um Probleme des Verlaufs gehen.

Der Verlauf

Japan war in der Neuzeit zwischen 1603 und 1854 ein Unicum. Der Staat isolierte sich total von anderen Staaten. Etwa 250 Jahre war Japan ganz mit sich selbst beschäftigt. Niemand durfte ausreisen. Japanern, die früher ausgereist waren, wurde die Rückkehr verweigert. Während dieser 250 Jahre herrschte gleichsam ein Goldenes Zeitalter nicht als mythologische, sondern als historische Zeit. Überall gab es allgemeinen Wohlstand, Frieden und politische Stabilität. Missionen des Christentums wurden als fremde Einmischung empfunden und verboten.

1854 waren es die USA, die Japan unter Androhung von Gewalt zur Öffnung ihrer Häfen zwangen. Seither wurde der kleine Inselstaat allmählich internationaler Akteur. Daher nahm es auch auf der Seite der Alliierten am 1. Weltkrieg teil. Japan griff allmählich auf China zu, das nach der Abschaffung seiner Kaisermonarchie geschwächt war. Insbesondere infolge der globalen Wirtschaftskrise von 1929 nahm das Militär eine politische Zentralstellung ein. Fürst Konoe Fumimaro verkündigte einen Heiligen Krieg, der nicht nur Korea, China, Vietnam und Formosa, sondern auch Indochina und ansatzweise Australien betraf und einen japanischen Einflussbereich von 450 Millionen Menschen einschloss. Mit großer Rücksichtslosigkeit ging das japanische Militär gegen China vor.

1940 schloss Japan einen Pakt mit dem Dritten Reich (und Italien). Ziel war, Eurasien in einer deutschen und japanischen Zangenbewegung zu erobern. Die USA kamen in diesem Kalkül nicht vor. Das änderte sich, als am 7. Dezember 1941 Marine und Flugzeuge der Japaner den US-Stützpunkt Pearl Harbour auf Hawaii mit ausgemusterten US-Kriegsschiffen und dem Verlust von 2400 Menschen bombardierten. Es handelt sich um eine japanische Verzweiflungstat. Denn die USA waren längst dabei, Japan von der Lieferung von Erdöl und weiteren Rohstoffen abzuschneiden. Dies war der erste Angriff auf das Gebiet der USA im 20. Jahrhundert. In der späteren und entscheidenden Schlacht von Okinawa starben zwischen dem 1. April bis Ende Juni 1945 110.000 Japaner und 12.000 Amerikaner. Die Amerikaner äscherten Städte wie Tokyo, Yokohama und Osaka zu 65 % ein. Im Juli 1945 testeten die Amerikaner eine Atombombe als Trinity-Ereignis in New Mexico und berichteten, dass eine Munitionsfabrik explodiert sei. Japan lehnt eine bedingungslose Kapitulation ab.

Die Amerikaner bereiteten den nuklearen Doppelabwurf vor: Für den Fall von Unfällen rüsteten sie die Piloten mit Gift aus. Wie C. F. von Weizsäcker in einem bis heute unbeachtetem späteren Radiointerview berichtete, stieg wegen ungünstiger Wetterverhältnisse in Tokyo ein japanisches Jagdflugzeug nicht auf, das die US-Bomber vor Hiroshima mühelos hätte abschießen können. Aus Sicherheitsgründen wurden die Atombomben erst während des Fluges zusammengeschraubt. Die beiden B29-Bomber starteten von der Insel Tinian, die etwa 2500 km südlich von Japan als Teil der Marianeninseln liegt. Die Amerikaner hatten diese Insel 1944 von den Japanern erobert und rasch zu dem größten Flughafen des Globus ausgebaut. Der Doppelabwurf erfolgte ohne Warnung und über zivilem Gebiet. Die Bombe über Nagasaki enthielt noch mehr Sprengkraft als die Hiroshimabombe. Doch infolge des hügeligen Geländes richtete sie weniger Schaden an als die Hiroshimabombe. Die Amerikaner hielten noch eine weitere Atombombe bereit. Doch Truman ließ sie nicht abwerfen, um die beginnenden Friedensverhandlungen nicht zu stören. Auf der Stelle starben mehr als 100.000 Menschen in den beiden Opferstädten. Über spätere Strahlentote gibt es lediglich Schätzungen. Die USA verhängten für einige Jahre eine Nachrichtensperre. Das japanische Volk sollte nichts von der Atombombe und der radioaktiven Strahlung wissen.

Anders als in Deutschland wurde die japanische Regierung nicht abgesetzt, sondern blieb im Amt. Auch der japanische Kaiser blieb im Amt, obwohl es Bestrebungen gab, ihn zu erhängen. Auch fanden international besetzte Gerichtsverhandlungen statt und mehrfach wurde die Todesstrafe verhängt. Die japanische Bevölkerung ließ sich jedoch nicht davon beeindrucken und verstand diese Gerichtsverfahren als Siegerjustiz.

Vergleichbar mit den Römern gingen die USA mit den völlig besiegten Feinden um. Erst wurden sie besiegt, dann wurden ihnen Privilegien bewilligt. In Japan durften nach 1945 die Frauen wählen, die bisher, ähnlich wie im antiken Griechenland, ein gesellschaftliches Schattendasein geführt hatten. Die USA folgten der römischen Logik: Erst Niederwerfung, dann Reprivilegierung. Noch heute brüsten sich die Amerikaner mit dem, was sie Deutschland und Japan nach ihrer vollständigen Niederlage angedeihen ließen und verkaufen es als gewalttätigen Regime change mit wohltätigen Wirkungen.

Tendenzen der Deutungen des Verlaufs

Unter Tendenzen verstehe ich Vorstellungen, was hätte geschehen können, auch wenn es nicht ausgeführt wurde.

Aus meiner Sicht an erster Stelle steht eine theologische Deutung des Doppelabwurfs. Am Rande sei vermerkt, dass die atomaren Explosionen auch Maler faszinierten wie Dali, wie Lichtenstein oder wie Warhol. Doch die künstlerische Faszination der Bombe war nicht von Dauer.

Truman gab eine theologische Bewertung nach dem Doppelabwurf der Atombomben in seiner Radioansprache vor:

Wir danken Gott, dass er sie [die Atombombe] uns statt unseren Feinden zur Verfügung stellte, auf dass Er uns leitet, sie nach Seinem Belieben und seinen Plänen einzusetzen.

Diese heute merkwürdigerweise nicht mehr zitierte Bemerkung steht jedoch nicht allein, sondern bestätigt, dass die USA sich mit ihrer Unabhängigkeitserklärung von 1776 auf einen Höchsten Weltrichter (Supreme Judge of the world) und auf die Beschützung durch eine göttliche Vorsehung (the Protection of Divine Providence) berufen. Daher war es folgerichtig, dass nicht die USA die Verantwortung für den Einsatz der Atombombe besaßen, sondern jene allmächtige Gottheit, an deren Existenz die politischen Entscheider der USA offenbar glaubten. Zur gleichen Zeit urteilte Churchill, der Doppelabwurf sei das Weltgericht. Mit den japanischen Toten ereigne sich das Jüngste Gericht.

Wer sich mit US-Amerikanern unterhält, wird erfahren, dass dort häufig die Ansicht vertreten wird, man bejahe einen Atomkrieg. Denn er verkürze die Wartezeit auf das Jüngste Gericht. Dazu passt auch die Ansicht des evangelischen Bischofs Dibelius, er habe kaum Einwände gegen einen Atomkrieg, denn der bringe uns Gott näher. Die theologische Deutung der thermonuklearen Waffe bildete eine Voraussetzung dafür, dass die Atombombe sich menschlicher Verantwortung entzieht und dass ihr Einsatz nicht menschliche, sondern göttliche Gerechtigkeit ausdrückt. Mit Atomwaffen zeige sich Gott als die größte Macht der Menschengeschichte. Auch läuft in den USA der Mythos um, dass am jüngsten Tage die Erde verbrennen wird, während die USA jedoch von den Flammen verschont werden würden.

Die theologische Deutung der Atombombe beruhte auf dem nuklearen US-Monopol. Es dauerte vier Jahre. Im Jahre 1949 explodierte die erste sowjetische Atombombe, die möglich wurde durch die Spionagetätigkeit von Klaus Fuchs. Das nukleare US-Monopol war dahin. Noch 1946 verwüsteten die Amerikaner das Bikini-Atoll. Doch bereits 1961 bewirkten die Sowjets die bisher größte Nuklearexplosion mit einer Wasserstoffbombe, die 4000 mal stärker war als die Sprengwirkung der nuklearen Hiroshimabombe.

Nach dem Ende des nuklearen US-Monopols ging es nur noch um die Frage, wie man das Risiko eines thermonuklearen Krieges rational verringern könnte, während man gleichzeitig die atomare Rüstung modernisierte und vergrößerte. Die theologische Rechtfertigung der Atombombe wich einer politischen.

Probleme des Verlaufs

Probleme betreffen alle Fragen, ob etwas sich so verhält, wie es erscheint. Ich beginne mit der Frage, wie der Doppelabwurf der Bomben aus der Sicht der US-Amerikaner gerechtfertigt wurde. Lange Zeit und noch heute wird einer mehrfachen Desinformation vertraut: Die Bomben haben den Amerikanern den Verlust von Soldaten erspart. Es wurde sogar eine völlig unwahrscheinliche Zahl von 500.000 genannt. In jedem Fall führten die Amerikaner aus ihrer Sicht einen gerechten Krieg gegen die Japaner, die sie als gelbe Affen und als Halbmenschen verstanden. Ähnlich wie Hitler, der einen Vernichtungskrieg gegen sowjetische Untermenschen führte, stand auch der pazifische Krieg unter rassistischen Wertungen.

Nun bedeutet ein gerechter Krieg eine Strafaktion eines Staates gegen andere Staaten. In der Neuzeit hatte der italienische Jurist Alberico Gentili die Vorstellung eines gerechten Krieges begrifflich mit dem Gedanken neutralisiert, dass jede der Konfliktparteien einen gerechten Strafkrieg beanspruchen kann. Es entstehe dann ein bellum iustum ex utraque parte, ein beidseitig gerechter Krieg. Dann jedoch gibt es keine gemeinsame Gerechtigkeit mehr, in deren Namen ein Krieg stattfindet. Folglich kann es keinen gerechten Krieg geben, den ein Staat gegen andere führt. Doch die USA lassen bis heute nicht von der Vorstellung eines gerechten Krieges ab. Als Obama 2009 den Friedensnobelpreis erhielt, hat er auf dieser Vorstellung beharrt.

Inzwischen wurde (von G. Alperovitz) nachgewiesen, dass der Doppelabwurf 1945 keineswegs der Verkürzung der Kriegsdauer diente. Er besaß einen geostrategischen Grund. Bei der Konferenz im Juli in Potsdam wurde Stalin nach Ablauf des Nichtangriffspaktes zwischen Russland und Japan am 8.8.1945 von den USA und Großbritannien freie Hand gegeben, die japanische Besetzung der chinesischen Mandschurei militärisch zu beenden. Stalin griff die Japaner daher in China an und besiegte sie. Mit dem erfolgreichen Trinity-Atombombentest fand vermutlich ein Sinneswandel in den USA statt. Stalin könnte ja auch gegen Japan siegreich werden. Das aber wollten die USA unter keinen Umständen. Es reichte ihnen, dass die Russen Berlin erobert hatten. Auch Großbritannien wurde der Zugriff auf Japan verwehrt. Also bleibt als Motiv des Doppelabwurfs übrig, dass die USA eine übermächtige Kontrolle über Japan für sich beanspruchten. Über 80.000 Japaner mussten auf der Stelle im atomaren Feuer sterben, um Stalin vor einem Zugriff auf Japan zu warnen. In seiner zitierten Radioansprache betonte Truman, dass nunmehr die USA die unangefochtene globale Supermacht seien.

Seitens der USA nahm man nach 1945 das rassistische Vorurteil stillschweigend zurück und sah die Japaner als unmündige Kinder an. Jedoch wurde als weitere Motivation ein Rachemotiv artikuliert: Rache für Pearl Harbour. Wenn dies ein Motiv für einen gerechten Krieg zählt, so scheint sich noch nicht überall herumgesprochen zu haben, dass die Amerikaner die Funksprüche der Japaner abhörten und daher vor dem Angriff gewarnt waren. In meiner Deutung entsteht der Eindruck, dass Roosevelt einen Grund suchte, um in den zweiten Weltkrieg einzutreten.

Doch es sollte nicht darum gehen, einseitig Verhalten und Einstellungen der USA zu verurteilen. Denn erstens gab es erheblichen Einspruch amerikanischer Generäle gegen den Doppelabwurf: Japan war faktisch besiegt und längst vollständig zerstört. Zwar gab es keine Gesten der Entschuldigung der USA gegenüber Japan. Doch die Amerikaner haben, zweitens, bewiesen, dass sie nicht mehr leichtfertig mit der thermonuklearen Waffe umgehen. Im Koreakrieg wurde Mac Arthur abgesetzt, als er den Einsatz von Atombomben forderte. Ebenso ging es General Westmoreland im Vietnamkrieg. Als die in Vietnam bedrängten Franzosen und der Niederlage in Dien Bien Phu 1954 um Atomwaffen baten, die erst ab 1958 eigene Atomwaffen besaßen (mit den sie andere, schurkische Staaten seit 2003 wiederholt bedrohen) lehnten die beiden Atomwaffenstaaten USA und Großbritannien dies strikt ab.

Bevor ich verallgemeinere, möchte ich noch auf drei merkwürdige Ereignisse hinweisen. Erstens behaupteten die Japaner mit ihrer extremen Expansion, dass sie Ostasien vom westlichen Kolonialismus befreien wollten. Schufen sie einen japanischen Kolonialismus, um von dem europäischen zu befreien? Zweitens: Warum wurde Nagasaki drei Tage nach Hiroshima bombardiert, anstatt den Japanern die Möglichkeit zu geben, auf Hiroshima mit diplomatischen Mitteln zu reagieren? Drittens: Als der 1945 von Briten internierte Otto Hahn von Hiroshima erfuhr und dies mit dem Ausruf entsetzlich kommentierte, bemerkte ein britischer Offizier: Der Tod von 100.000 Japanern ist ohne Interesse, wenn wir nur unsere Leute retten.

Ich versuche jetzt ein Resümee in größeren Zusammenhängen:

  1. Mit dem Doppelabwurf erfolgte ein irreversibler Riss in der Menschheitsgeschichte. Ihm ging allerdings ein infernalischer Kriegsakt der Japaner voraus. Sie warfen über China Geschosse ab, die mit Pestbakterien infizierte Flöhe enthielten und von 1940 bis 1942 10.000 Todesopfer in Nordchina erzeugten. Dies wird bis heute in China nicht vergessen.
  2. Mit dem thermonuklearen Doppelabwurf begann eine nukleare Zeit. Sie bringt auch Atomkraftwerke, die nicht sicher, sondern lediglich abgesichert sind. Der radioaktive Abfall lässt sich nirgendwo lagern. Günther Anders bezeichnet Atomkraftwerke als nukleare Zeitbomben mit unfestgelegtem Explosionstermin.
  3. Die atomare Rüstung erzeugt ein Sicherheitsdilemma, aus dem es kein Entkommen gibt. Die Rüstung des einen wird mit mehr erhöhter Rüstung des Zweiten beantwortet und so fort.
  4. Ist es möglich, Atomwaffen loszuwerden? Seitens der Sowjetunion wurde vorgeschlagen, sie zu verbieten und auf ihre Produktion zu verzichten. Die USA schlugen vor, alle Atomwaffen an die UNO abzugeben. Doch es gehört zum Arsenal naiver Gemüter, dass man sie loswird. Das tief verwurzelte und offenbar über Generationen vererbte Misstrauen der politischen Entscheider spricht dagegen.
  5. Im Jahre 2018 haben die USA beschlossen, dass sie als erste künftig Atomwaffen einsetzen würden. Russland reagierte mit ihrer Bereitschaft Atomwaffen einzusetzen, wenn die Existenz Russlands vital gefährdet werde.
  6. In den USA publizierte der US-Politikwissenschaftler Mathew Kroenig sein Buch The Logic of American Nuclear Strategy von 2018. Er behauptet, dass die USA einen Atomkrieg gewinnen können. Sie könnten dabei 50 Millionen Amerikaner opfern. Doch der Verfasser rechnet den infolge von Bränden entstehenden Nuklearen Winter und die Verstrahlungsopfer heraus. Damit beruht seine These auf irrealen Voraussetzungen.
  7. Atombomben können auch verheerende Wirkungen erzeugen, ohne dass primär eine einzige Person getötet wird. Dazu genügt die Zündung einer Atombombe in 100 km Höhe. Die Infrastruktur des geschädigten Landes würde vollständig kollabieren. Es handelt sich um den Elektromagnetischen Impuls, den Nordkorea über den USA nutzen könnte. Die USA verfügen bisher über keine Möglichkeiten, ihn zu verhindern.
  8. Das atomare Zeitalter bringt uns, je mehr spaltbares Material entwendet wird, das Risiko einer Sprengladung mit radioaktivem Material, eine radiologische oder schmutzige Bombe. Terrorgruppen könnten sie bauen und einsetzen.

Es folgt, dass Günther Anders Recht behält: Künftige Geopolitik steht im Schatten beständiger Apokalyptik. Geopolitik wird daher zu einer Gradwanderung zwischen zu viel und zu wenig Vertrauen in die anderen. Zu viel Vertrauen: Sie werden nicht ernst genommen. Zu wenig Vertrauen: Es entsteht eine Hysterie eines Sicherheitswahns.

Da Atomwaffen nicht mehr aus der Welt zu schaffen sind, vertrete ich selber eine Politik nuklearer Deaktivierung. Man nimmt die atomaren Zünder aus den Raketen heraus und verwahrt sie an anderem, nicht leicht zugänglichem Ort. Auf diese Weise würde man im Konfliktfall Zeit gewinnen, der zu Verhandlungen genutzt werden kann. Doch dazu fehlt offenbar eine internationale Klärungsbereitschaft.

Doch dies ist noch nicht alles. Ich gehöre einem Kreis von Wissenschaftlern an, der vor einem Atomkrieg warnt, der aus Versehen geschehen kann. Der Befehl zu einem Atomkrieg hängt von Sensoren ab, deren KI nicht zwischen Bluff und Ernst unterscheiden kann. 1983 wurde die Menschheit vor einem Atomkrieg durch den sowjetischen Offizier Stanislaw Petrov gerettet. Er misstraute dem Anflug von US-Atomraketen, der sich als Effekt einer Spiegelung auf dem Radar erwies. Inzwischen erledigt dies die KI. Menschliche Lebensretter wie Petrov werden arbeitslos.

Wir befinden uns noch immer oder gar erneut in der Lage, wie es Stanley Kubrick vor 61 Jahren in seinem Film Dr. Seltsam. Oder wie ich es lernte, die Bombe zu lieben, darstellt. Dort wird trotz aller Bemühungen um globalen Frieden am Ende die Menschheit und alle Lebensvoraussetzungen mit thermonuklearen Waffen vernichtet.

Manchem könnte sich angesichts dieser unlösbaren Probleme daher die Frage aufdrängen, ob die Apokalypseblindheit, die Günther Anders bemängelt, nicht vorzuziehen ist? Oder müssten wir alle zu Übermenschen werden, um das atomare Zeitalter zu ertragen? Zur Blindheit kann man sich jedoch nicht entschließen. Und Übermensch wird man nicht, auch wenn man es werden wollte.

Mir fällt kein tröstendes Wort ein. Eher erinnere ich mich an zwei Zeilen des französischen Dichters Charles Baudelaire aus dem Einleitungsgedicht seiner Fleurs du Mal. Dort schreibt Baudelaire bereits im Jahre 1861:

Chaque jour vers l’Enfer nous descendons d’un pas,
Sans horreur, à travers des ténèbres qui puent.

Ich übersetze dies mit:

Täglich steigen wir mit einem weiteren Schritt zur Hölle hinab,
Ohne Schrecken, auch wenn die Tiefe uns anstinkt.

 

Bernhard H. F. Taureck  ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes Rheinland-Pfalz / Saarland

 


Bild(er): US-amerikanisches Propaganda-Plakat mit der Aufschrift „Jap… You’re Next! We’ll Finish the Job“, dt. etwa: „Japse… Du bist der Nächste! Wir werden die Sache zu Ende bringen!“, vermutlich veröffentlicht 1945 nach dem Ende des 2. Weltkriegs in Europa. Grafik: James Montgomery Flagg – U.S. National Archives and Records Administration, Public Domain, Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16926145

 

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